Werther 1

Werther 1

Erstes Buch
Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammelt und lege es euch hier vor, und weiß, daß ihr mir’s danken werdet. Ihr könnt seinem Geist und seinem Charakter eure Bewunderung und Liebe, seinem Schicksale eure Tränen nicht versagen.
Und du gute Seele, die du eben den Drang fühlst wie er, schöpfe Trost aus seinem Leiden, und laß das Büchlein deinen Freund sein, wenn du aus Geschick oder eigener Schuld keinen näheren finden kannst.

Was ich dir nur sage will! Was ich alles mit dir teilen will! Wenn ich nur irgendwie deine Augen sehen könnte, dein Laechlen–gross and breit, verwirrend wie das Zittern eines Insekten auf einem kargen Zweigchen das kalt und knotig dem Winter gegenüber steht–wahrnehmen, noch einmal erleben!

Aber nein und niemals; das Schicksal oder die Schuld erlaubt uns nur eins: das grosse Vergessens, das ab und zu mit einer nebligen halb-Erinnerung zerstreut ist–zerstreut wie das blaue Arizona Himmel gelegentlich von einer langen, dünnen, feinen, sich-auseinander-wie-cotton-candy-in-haenden-eines-ferienspaziernden-
kindes-ziehenden Wolken gestreift ist.

Am 4. Mai 1771
Wie froh bin ich, daß ich weg bin! Bester Freund, was ist das Herz des Menschen! Dich zu verlassen, den ich so liebe, von dem ich unzertrennlich war, und froh zu sein! Ich weiß, du verzeihst mir’s. Waren nicht meine übrigen Verbindungen recht ausgesucht vom Schicksal, um ein Herz wie das meine zu ängstigen? Die arme Leonore! Und doch war ich unschuldig. Konnt’ ich dafür, daß, während die eigensinnigen Reize ihrer Schwester mir eine angenehme Unterhaltung verschafften, daß eine Leidenschaft in dem armen Herzen sich bildete? Und doch – bin ich ganz unschuldig? Hab’ ich nicht ihre Empfindungen genährt? Hab’ ich mich nicht an den ganz wahren Ausdrücken der Natur, die uns so oft zu lachen machten, so wenig lächerlich sie waren, selbst ergetzt? Hab’ ich nicht – o was ist der Mensch, daß er über sich klagen darf! Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir’s, ich will mich bessern, will nicht mehr ein bißchen Übel, das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen, wie ich’s immer getan habe; ich will das Gegenwärtige genießen, und das Vergangene soll mir vergangen sein. Gewiß, du hast recht, Bester, der Schmerzen wären minder unter den Menschen, wenn sie nicht – Gott weiß, warum sie so gemacht sind! – mit so viel Emsigkeit der Einbildungskraft sich beschäftigten, die Erinnerungen des vergangenen Übels zurückzurufen, eher als eine gleichgültige Gegenwart zu ertragen.
[…]
Die Stadt selbst ist unangenehm, dagegen rings umher eine unaussprechliche Schönheit der Natur. Das bewog den verstorbenen Grafen von M., einen Garten auf einem der Hügel anzulegen, die mit der schönsten Mannigfaltigkeit sich kreuzen und die lieblichsten Täler bilden. Der Garten ist einfach, und man fühlt gleich bei dem Eintritte, daß nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz den Plan gezeichnet, das seiner selbst hier genießen wollte. Schon manche Träne hab’ ich dem Abgeschiedenen in dem verfallenen Kabinettchen geweint, das sein Lieblingsplätzchen war und auch meines ist. Bald werde ich Herr vom Garten sein; der Gärtner ist mir zugetan, nur seit den paar Tagen, und er wird sich nicht übel dabei befinden.

Wie froh bin ich, daß ich weg bin! Bester Freund, was ist das Herz des Menschen! Dich zu betrügen, meine Hoffnung zu missbrauchen, deine Augen mit Schlamm zu verdecken, dreckig, ungleich und Trocknen geknackt wie die Haut um einer Elefantenauge! Und dann die arme Leonore! Aber was sonst? Man muss was fressen–sozusagen. Ich war einsam und gelangweiligt. Und das Beduerfnis war bei mir immer so gross–so krankhaft gross! Aber naja, die arme Leonore–sie wusste sowieso was ich imstande zu geben war; wusste sowieso dass ich weggehen würde, und dass ich Kinder mache, dazu aber niemals was hinzufüge.
Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir’s, ich will mich bessern, will nicht mehr ein bißchen Übel, das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen, wie ich’s immer getan habe; ich will das Gegenwärtige genießen, und das Vergangene soll mir vergangen sein. Irgendwie muessen Männer Kinder zeugen; irgendwie muessen Frauen Kinder kriegen. Das ewige Schicksal findet immer einen Weg–was können wir dafür oder dagegen? Die Leonore und ich sind beide Fliegen im Spinnennetz–die Welt nennt mich “schuldig”, nennt sie “ausgenutzt” aber in Wirklichkeit ist nur das Schicksal schuld: das Schicksal nutzt uns beide aus. Naja, bester–du weisst das alles. Ich weiss dass ich mich nicht vor dir rechtfertigen muss! Und so spreche ich nicht weiter davon. Deine Schwester ist ein süßes, ein mildes, ein liebenswürdiges Geschöpf–und dabei nicht besonders blöd: sie wird sicher eine glückliche Lösung treffen. Wer weiss–vielleicht wird ein Kind gut für ihr sein–vielleicht ist das genau die Motivation ihre lange aufgeschobene Reifung braucht.

O aber wie viel ich wünsche, dass du hier sein waerest! Oder dass du wenigstens diese Herrlichkeiten durch meine Augen sehen könnten! Die Stadt selbst ist unangenehm, dagegen rings umher eine unaussprechliche Schönheit der Natur. Das bewog den verstorbenen Grafen von M., einen Garten auf einem der Hügel anzulegen, die mit der schönsten Mannigfaltigkeit sich kreuzen und die lieblichsten Täler bilden. Ich fließe und ströme über diese Hügel und in diesen Tälern wie Wasser; und am liebsten sammle ich mich hier in seinem Garten–ich mich hier in blühenden halb-wilden Gärten sammle wie Wasser im Steil einer grossen Blume. Und hier mitten riesigen, überwucherten, in Seiten der Hügeln eingelassen Pflanzentöpfen überlege ich. Was überlege ich? Hauptsachlich Herrlichkeit im allgemeinen Fall. Man kann die Herrlichkeit weder mit Ideen noch Gefühlen fest begreifen–und so sitze ich hier im bewunderstwerten Gärten am Rand eine kleine, nichtsbedeutende, hässliche Stadt und überlege ich das enorme, vage, Gedanken- und Gefühlen-Nebelflecke. Wie schön! Wie unheimlich schön sich mit Herrlichkeiten so zu verwirren!

Aber schwierig bleibt es das Getränk zu vermeiden. Meistens nachts. Als ich allein im dunklen Zimmer sitze, neben meiner flackernden Flamme. Ich sitze im Übergrößen Samtrobe, meine nackte dünne kalte weiße Knien wie von einer hoffnungslosen Ferne betrachten, denke an Leonore, und wünsche dass die Welt anders wäre. Naja.

Von: Bartleby Willard
Copyright: Andy Watson

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