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Tag: kafka

In der Bankschlange/In Line at the Bank

In der Bankschlange/In Line at the Bank

Wenn irgendeine überlastete, kleine, magere, matte, vom kalten Rauch riechenden Laufmädchen in einem unebenen grellgelben polyestern Rock und einem zu großen, verblassten, rosa, kurzärmligen, breitgekgragten Hemd mit riesigen plastischen Knöpfen ahnungslos und erschüttert zwinkert und mit schaumigen Speicheln umgegeben offenen Mund lautlos weint während eine große Dame mit massiven kullernden Brüsten und Gesäßbacken in einem schmeichelhaften Nadelstreifrockanzug, ihre lange dünne geschmückten Fingern auf einer niedrigen Marmor bedeckten Theken gespreizt, über die Wehrlose ragte, durch zusammengekniffene Augen, Nüstern, und langem Choralmund an ihr herabschaute, und in falschsüßer Altistin — die sie gelegentlich mit schrillen, abgehackten rachenraumgeborenen Schaulachen unterbricht — erklärte, daß die junge Dame am falschen Ort sei, daß man hier leider keine Zeit für derart geringfügige Konten, daß wenn Online ihre Bedürfnissen nicht entsprechen werden würde, sie eine andere Bank finden könnte, oder — was in diesem Fall fast sicherlich am praktischsten sei — einfach ein Paar Stunden im Betteln verbringen:
vielleicht eilte dann ein junger Praktikant eines gut angesehenen mittelständischen Kaufhauses aus seiner geschätzten Stelle in der langen, mehrmals sich überschlagenden Schlange und, Ledersohlen auf glitzerndem Marmor rutschend, hart an er schwarznussen Bankschalter stösste, das HALT! in großartiger Sicherheit riefe.

Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, die jugendliche Gesundheit aus vollen rosigen Wangen strahlend, ihr zierlicher, kurvenreicher, athletischer Körper freudig in enganliegenden rosa Pulli und schwarzen Hosen umhüllt, mit zurückgeneigtem Kopf in kindlicher Freude lacht während eine große Dame mit massiven kullernden Brüsten und Gesäßbacken in einem schmeichelhaften Nadelstreifrockanzug, ihre langen Fingern an ihren liebenswürdigen — und, wenn der riesige glitzernde Verlobungsring glaubwürdiger Zeuge ist, doch sehr geliebten — Hüften, mimt, indem sie von Seite zu Seite schlängelt und mit künstlich übertrieben hervortretenden Lippen die Hälse pfaut, eine freche Schelterin, entschuldigt sich nochmals und nochmals der Kleine versichert, daß falls sie nicht beim Bankautomaten nicht zurecht komme, Joe — an dem sie jetzt winkert und der, ein gut gelaunter Bär in einem gut anpassenden Anzug, mit einem breiten offenen Hand und einem freundlichen spielerischen ironischen Grimsen (weit offene Auge vorn, Kinn leicht angezogen, flaches Lächeln verschmiert übers angenehme teigige Gesicht) alsbaldig ihrer in süßer Freundschaft gefesselten beruflichen Einsatz anerkennt — ihr helfen würde:
Da dies so ist, runzelt momentan der junge aufrechte Geschäftsmann die Lippe, senkt dann den Kopf, und hebt ihn wieder um erst die prachtvolle mit eisernen römischen Ziffern versehenen Uhr und dann die gewölbten Decke und sein handbemaltes Gebälk unaufmerksam zu studieren.

Copyright: Andrew Watson of Watson Schmatson Lane

Kafka Translations 3: Auf der Gallerie/Up in the Gallery

Kafka Translations 3: Auf der Gallerie/Up in the Gallery

English Translation

Note on this translation project:

The idea is to aid with German comprehension: First you read the German with the hard words explained; then you read an English translation; and finally you read the original German with perfect comprehension, as if you were Franz Kafka himself!

These short short stories were all part of the story collection “Ein Landartz” (“A Country Doctor”), published in 1919 (Franz Kafka, author; Kurt Wolff, publisher).

German original available (kostenlos, natuerlich) at Project Gutenberg (or at the very bottom of this page). If, deutschlos, you just want to read my English translation, skip to the English Translation.

1. Wenn irgendeine [someone, anybody; ] hinfällige [frail; invalid], lungensüchtige [Lungenschwindsucht = tuberculosis] Kunstreiterin [trick rider] in der Manege [circus ring] auf schwankendem [swaying, tottering] Pferd [horse] vor einem unermüdlichen [indefatigable, unremitting] Publikum [audience] vom peitschenschwingenden [whip-swinging] erbarmungslosen [merciless] Chef [boss] monatelang [months-long] ohne [without] Unterbrechung [interruption] im Kreise [(in a) circle] rundum [all around] getrieben [drive] würde, auf dem Pferde schwirrend [whirring], Küsse [kisses] werfend [throwing], in der Taille [waist] sich wiegend [to rock],

1. If in the circus ring, in front of an indefatigable audience, some invalid, tubercular trick rider on a tottering horse, were, for months without interruption, to be driven around in circles by a merciless, whip-swinging boss—all the while whirring on her mount, throwing kisses, wobbling at the waist;
1. Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend,

2. und wenn dieses Spiel [here: performance] unter dem nichtaussetzenden [aussetzen: suspend, release] Brausen [roar] des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort [the whole time] weiter [further, wider] sich öffnende [sich öffnen: open up, unfurl] graue Zukunft sich fortsetzte [fortsetzen: continues sich~: resume], begleitet [accompany] vom vergehenden [wear off; vanish; decay] und neu anschwellenden [swell; bulge; increase] Beifallsklatschen [Beifall: applause; Klatschen: clap] der Hände, die eigentlich Dampfhämmer [Dampfhammer: steam hammer; “Hämmer” is the plural] sind – vielleicht eilte [eilen: to hurry] dann ein junger Galeriebesucher [Galerie: gallery; besucher: visitor] die lange Treppe [stairs] durch alle Ränge [Rang: balcony] hinab, stürzte [fall] in die Manege [circus ring], riefe [rufen: shout] das: Halt [stop]! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden [sich~:adjust, conform] Orchesters.

2. and when this performance continued under the relentless roar of the orchestra and the ventilators in the constantly further unfurling gray future, accompanied by fading and newly swelling applause from hands that are actually steam powered blacksmith’s hammers—perhaps then a young visitor would rush from the gallery down through all balcony levels, plunge into the ring, shout the: “Stop!” through the fanfares of the constantly accommodating orchestra.
2. und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

3. Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame [lady], weiß und rot, hereinfliegt [fliegen: to fly; herein: in here], zwischen den Vorhängen [curtains], welche die stolzen Livrierten [Livree: clothing for servants like chauffers, porters, etc] vor ihr öffnen [open]; der Direktor, hingebungsvoll [devotedly] ihre Augen [eyes] suchend [suchen: to look (for)] , in Tierhaltung [animal-attitude or -stance “Tierhaltung” generally means “animal husbandry”–but I can’t make sense of that here, so I am assuming it is intended to be a new compound word] ihr entgegenatmet [entgegen: contrary to, against]; vorsorglich [cautious] sie auf den Apfelschimmel [dappel gray horse] hebt [heben: to lift], als wäre sie seine über alles geliebte [beloved] Enkelin [granddaughter], die sich auf gefährliche [dangerous] Fahrt [journey] begibt [sich begeben: to set out]; sich nicht entschließen [decide] kann, das Peitschenzeichen [Peitsche: whip; s Zeichen: signal] zu geben; schließlich [finally] in Selbstüberwindung [self-overcoming] es knallend [knallen: whip: crack] gibt;

3. Because it isn’t so; a pretty lady, white and red, flies in through the curtains, which the proud livery-uniformed workers open in front of her; the ringleader, with an animal’s bearing devotedly seeking her eyes, draws his breath away from her, cautiously lifts her onto a dappled gray horse as if she was his above all else beloved granddaughter who is setting off on a dangerous journey; can’t make up his mind to signal with his whip; finally conquers himself to give the signal with a crack;

3. Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt;

4. neben dem Pferde mit offenem Munde [mouth] einherläuft [einher: along]; die Sprünge [r Sprung: jump] der Reiterin [rider] scharfen [sharp] Blickes [glance] verfolgt [track]; ihre Kunstfertigkeit [kunstfertig: skillful] kaum [hardly] begreifen [grasp] kann; mit englischen Ausrufen [exclamation] zu warnen versucht [tempted]; die reifenhaltenden [hoop–holding] Reitknechte wütend [mad] zu peinlichster [peinlich: meticulous] Achtsamkeit [actsam: attentive] ermahnt [admonish]; vor dem großen Saltomortale [r Salto: somersault] das Orchester mit aufgehobenen [aufheben: to raise] Händen beschwört [beschwoeren: implore], es möge schweigen [be silent]; schließlich [finally] die Kleine vom zitternden [zittern: to tremble] Pferde hebt [lifts],

4. runs along the horse open-mouthed; follows the rider’s jumps with sharp glances; can hardly grasp her skill; is tempted to warn her with English-language exclamations; furiously exhorts the hoop-holder to the most meticulous attentiveness; implores, with upraised hands, the orchestra to silence before the grand leap; finally lifts the little one off of her trembling horse,

4. neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Saltomortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die Kleine vom zitternden Pferde hebt

5. auf beide Backen [cheeks] küßt [kisses] und keine Huldigung [homage] des Publikums für genügend [enough] erachtet [consider]; während [while] sie selbst, von ihm gestützt [supported], hoch auf den Fußspitzen [foot-tops], vom Staub [dust] umweht [umwehen: blow over], mit ausgebreiteten [ausbreiten: Arme to stretch out] Armen, zurückgelehntem [zuruecklehnen: to lean back] Köpfchen [Kopf: head] ihr Glück [happiness] mit dem ganzen Zirkus teilen [share] will – da dies so ist, legt [legen: to lay] der Galeriebesucher [top seats-visitor] das Gesicht [face] auf die Brüstung [balustrade; parapet; railing] und, im Schlußmarsch [end-march] wie in einem schweren [heavy] Traum [dream] versinkend [versinken: to sink; ln], weint [cries] er, ohne es zu wissen.

5. kisses her on both cheeks, considers no amount of audience homage sufficient; while she herself, supported from him, high on tip-toes, with dust swirling around, her arms outstretched, little head leant back wanting to share her happiness with the whole circus—because this is so, the visitor in the uppermost row lays his face on the parapet and, sinking as if into a heavy dream during the concluding march, cries without knowing it.

5. auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.

Author: Franz Kafka
Translation Team: AMW & BW Translation Services, Ink(well)

English Translation

If in the circus ring, in front of an indefatigable audience, some invalid, tubercular trick rider on a tottering horse, were, for months without interruption, to be driven around in circles by a merciless, whip-swinging boss—all the while whirring on her mount, throwing kisses, wobbling at the waist; and when this performance continued under the relentless roar of the orchestra and the ventilators in the constantly further unfurling gray future, accompanied by fading and newly swelling applause from hands that are actually steam powered blacksmith’s hammers—perhaps then a young visitor would rush from the gallery down through all balcony levels, plunge into the ring, shout the: “Stop!” through the fanfares of the constantly accommodating orchestra.

Because it isn’t so; a pretty lady, white and red, flies in through the curtains, which the proud livery-uniformed workers open in front of her; the ringleader, with an animal’s bearing devotedly seeking her eyes, draws his breath away from her, cautiously lifts her onto a dappled gray horse as if she was his above all else beloved granddaughter who is setting off on a dangerous journey; can’t make up his mind to signal with his whip; finally conquers himself to give the signal with a crack; runs along the horse open-mouthed; follows the rider’s jumps with sharp glances; can hardly grasp her skill; is tempted to warn her with English-language exclamations; furiously exhorts the hoop-holder to the most meticulous attentiveness; implores, with upraised hands, the orchestra to silence before the grand leap; finally lifts the little one off of her trembling horse,kisses her on both cheeks, considers no amount of audience homage sufficient; while she herself, supported from him, high on tip-toes, with dust swirling around, her arms outstretched, little head leant back wanting to share her happiness with the whole circus—because this is so, the visitor in the uppermost row lays his face on the parapet and, sinking as if into a heavy dream during the concluding march, cries without knowing it.

…..

ORIGINAL

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung[35] im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch[36] alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht[37] entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Saltomortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die[38] Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.

Der neue Advokat: Analysis

Der neue Advokat: Analysis

Der Plot:

Ein Advokat diskutiert den Dr. Bucephalus, ein junger Advokat und neues Mitglied der Rechtsanwaltskammer, der in einem früheren Leben Streitroß Alexanders von Mazedonien war.

Charaktere:
Der Erzähler: Ein Advokat, der sich fachmännisch und ein bisschen eitel benimmt (wenigstens scheint er den Gerichtsdiener als minderwertig zu bewerten), der aber auch in seiner Handlung des Bucephalus als tolerant, rational, und im Besitz einen spürbaren künstlerischen und historischen Sinn wirkt. Seine Redensart ist zwar trocken, aber er beschreibt der Unersetztlichkeiten Alexanders von Mazedonien sehr schön.

Dr Bucephalus, ein Advokat, der wie ein Streitroß die Stufen der Freitreppe der Gerichtsgebäude besteigt, der aber normalerweise seinem früheren Leben als Streitroß Alexanders von Mazedonien nicht gleicht, und meistens seine alten Gesetzbüchern widmet.

Ein Gerichtsdiener, den—wahrscheinlich schon seiner Stellung wegen—der Erzähler als “ganz einfach” beschreibt. Er bestaunt wie Bucephalus die Freitreppe steigt—es ist aber nicht klar ob er wirklich Bucephalus mit “dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen” bewundert, oder nur mit einer Wertschätzung der Schönheit.

Die anderen Mitglieder der Anwaltschaft: Wir lernen nur, daß sie auch dem Dr Bucephalus verständnisvoll entgegenkommen.

Warum die Geschichte so komisch wirkt:

Der Erzähler und die andere Mitglieder der Anwaltskammer scheinen nichts komisches daran zu bemerken, daß der Dr Bucephalus die Reinkarnation des Streitroß Alexanders von Mazedonien sein sollte. Alle scheinen diese Umständen—die in unserer Weltanschauung als unmöglich gelten (auch wenn ein Mann die Reinkarnation eines Streitroßes sein könnte, wie könnte irgendjemand—geschweige denn jedermann—diese Tatsache zweifelsfrei Bescheid wissen?)—als ganz selbstverständlich hinzunehmen.

Der Erzähler und seine Kollegen konzentrieren nicht daran, ob Dr. Bucephalus vor etlichen tausenden Jahren der Streitroß Alexanders von Mazedonien hätte sein sein, sondern beschränken ihre Überlegungen daran, welche Wirkung sein ehemaliges Leben darauf haben sollte, wie ihn das Barreau handelt. Also erleben wir eine fremde Weltordnung und Realität.

Man wäre vielleicht daher verleitet, die Geschichte als psychologisch Sciencefiction zu beschreiben. Vielleicht ist es nur ein Versagen unserer Wissenschaft, daß wir nicht feststellen können, wer eine Reinkarnation von wem ist; aber das Gefühl der Geschichte ist eher magisch als zukunftwissentschaftlichisch (wie wir über sein ehemaliges Leben wissen ist nicht erklärt—ist einfach akzeptiert, als ob so eine Kenntnis ganz in Ordnung wäre); und eher einfach anders als magisch (die Geschichte spricht nicht vom Zauberei). Immerhin, die Geschichte ist mit der Sciencefiction verwandt: wie die Sciencefiction imaginären Realitäten konstruktiert, worin man wissenschaftliche, philosophisches, psychologische, und gesellschaftliche Ideen untersuchen kann, baut diese Geschichte eine andere Realität und erforscht, wie die Gesellschaft Kafkas Zeit dazu reagieren würde.

Ist diese Analysis richtig? Ein bisschen. Aber wenn man annimmt, daß alles in dieser Geschichte, von der allgemeinen Kenntnis von Reinkarnation, genau wie die Realität Kafkas Prague sein sollte, klingt die Narration als unrealistisch.

Was wir von dem Erzähler nicht wissen ist, ist wie viel er unser Sinn der Ironie teilt. Die begeisterte Vergleichung des Bucephalus bestaunenden Gerichtsdieners mit einem Pferdekenner; die Begeisterung der “Einsicht” der Rechtsanwaltskammer dem Bucephalus gegenüber; die Beschreibung der mörderisch-ehrgeizigen Einzelheiten Alexanders Handlung (wie zB, die Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen) als immer noch gegenwärtig, die Fähigkeit Indien überhaupt zu finden aber als seiner Zeitgenossen völlig unmöglich; die Zustimmung Bucephalus Entscheidung den alten Büchern zu widmen: Die Leser empfindet jede dieser Formulierungen als ironisch; wie aber empfindet sie des Erzählers?

Also kann die Seltsamkeit des Erzählers nicht einfach seine Kenntnis der Reinkarnation zuzuschreiben. Das Thema scheint er sehr ernst und selbstverständlich zu nehmen, aber er schreibt voller Ironie, Witz und Kunstfertigkeit. Sicherlich verstand Kafka das Witz seiner Geschichte, aber ein Teil davon, was die Geschichte witzig und interessant macht, ist der Sinn, daß der Erzähler es alles ganz im Ernst meint.
Was tut hier Kafka? Macht er sich über die ahnungslose Arroganz des Kleinbürgertums lustig? Über seine Bereitschaft, alles unkritisch hinzunehmen? Ein bisschen. Aber mehr spielt er mit unserer Sicherheit von der Realität unserer Realität. Auch zeigt er wie die Seele des Menschens von der Schönheit strotzt. In dieser erkennbaren aber zugleich verfremdeten Version unser Weltanschauung und Verhaltensstandards, blicken wir wie unglaublich auch unsere alltäglichsten Erlebnissen sind, und auch wie wir die Schönheit des Mysteriums des Lebens—egal wie oberflächlich wir zu sein versuchen—tief hinein bemerken und spiegeln muss.

AMW/BW

Kafka Translations 2: Der neue Advocat./The new Lawyer.

Kafka Translations 2: Der neue Advocat./The new Lawyer.

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Note on this translation project:

The idea is to aid with German comprehension: First you read the German with the hard words explained; then you read an English translation; and finally you read the original German with perfect comprehension, as if you were Franz Kafka himself!

These short short stories were all part of the story collection “Ein Landartz” (“A Country Doctor”), published in 1919 (Franz Kafka, author; Kurt Wolff, publisher).

German original available (kostenlos, natuerlich) at Project Gutenberg (or at the very bottom of this page). If, deutschlos, you just want to read my English translation, skip to English Translation

I’ve also written an Analysis and Response Story

Der neue Advocat./The new Lawyer.

1. Wir haben einen neuen Advokaten [lawyer], den Dr. Bucephalus. In seinem Äußern [appearance] erinnert [to remind] wenig [little] an die Zeit, da er noch [still/yet] Streitroß [war horse] Alexanders [genitiv (possessive) case)] von Macedonien war. Wer allerdings [however] mit den Umständen [circumstances] vertraut [to trust] ist, bemerkt [notices] einiges [some OR quite a bit].

1. We have a new lawyer, Dr. Bucephalus. Little in his appearance reminds one of the time he was yet the war horse of Alexander from Macedonia {Alexander the Great}. However, one who is familiar with the circumstances notices a few things.

1. Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus. In seinem Äußern erinnert wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von Macedonien war. Wer allerdings mit den Umständen vertraut ist, bemerkt einiges.

2. Doch sah ich letzthin [lately, recently] auf der Freitreppe [outside steps] selbst [even Or alone Or myself] einen ganz einfältigen [simple Or simple-minded] Gerichtsdiener [court usher] mit dem Fachblick [expert-look] des kleinen Stammgastes [regular] der Wettrennen [race] den Advokaten bestaunen [to marvel], als dieser [as a pronoun, “dieser” can mean “this one” Or “he” Or “the former”], hoch die Schenkel [thighs] hebend [heben: to raise], mit auf dem Marmor [marble] aufklingendem[ring] Schritt [footstep] von Stufe [step] zu Stufe stieg [climbed].

2. Why, just recently I witnessed a simpleton court usher marvel with the expert eye of a small-time race aficionado as the new lawyer, thighs lifting high, shoes ringing the marble, climbed from step to step.

2. Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen den Advokaten bestaunen, als dieser, hoch die Schenkel hebend, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg.

3. Im allgemeinen [general] billigt [sanction Or approve] das Barreau [french: the bar] die Aufnahme [inclusion Or acceptance] des Bucephalus. Mit erstaunlicher [surprising Or amazing] Einsicht [insight Or understanding] sagt man sich [one says to oneself], daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschaftsordnung [social order] in einer schwierigen [difficult] Lage [situation] ist und daß er deshalb, sowie [as well as] auch wegen seiner weltgeschichtlichen [world-historical] Bedeutung [importance], jedenfalls [at least] Entgegenkommen [goodwill Or obligingness Or accomodation] verdient [earned].

3. In general the bar approves Bucephalus’s membership. With astonishing understanding, one says to oneself that Buchephalus is, given today’s social order, in a difficult situation, and that because of that, as well as his world-historical import, he deserves at the least our courtesy.

3. Im allgemeinen billigt das Barreau die Aufnahme des Bucephalus. Mit erstaunlicher Einsicht sagt man sich, daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschaftsordnung in einer schwierigen Lage ist und daß er deshalb, sowie auch wegen seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, jedenfalls Entgegenkommen verdient.

4. Heute – das kann niemand leugnen [deny] – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden [murder, kill] verstehen [understand] zwar [certainly] manche [some]; auch an der Geschicklichkeit [skill], mit der Lanze [lance Or spear] über den Bankettisch [banquet-table] hinweg [over Or across] den Freund zu treffen [hit], fehlt [lacks] es nicht; und vielen [to many (“to”: NOT “too”; this is dative) ist Macedonien zu eng [tight Or narrow], so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen [curse] – aber niemand, niemand kann nach Indien führen [lead].

4. Today–no one can deny it–there is no great Alexander. To be sure, some understand how to murder; and the skill to spear one’s friend over a banquet table is likewise not lacking, and for many Macedonia is too cramped, so that they curse Philip, their father,–but no one, no one, can lead into India.

4. Heute – das kann niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche; auch an der Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen, fehlt es nicht; und vielen ist Macedonien zu eng, so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen – aber niemand, niemand kann nach Indien führen.

5. Schon damals [in those days] waren Indiens Tore [gates] unerreichbar [unreachable], aber ihre Richtung [direction] war durch das Königsschwert [kings-sword] bezeichnet [mark]. Heute sind die Tore ganz anderswohin [elsewhere] und weiter und höher vertragen [to tolerate Or to take] ; niemand zeigt die Richtung [direction]; viele halten [hold] Schwerter [swords], aber nur, um mit ihnen zu fuchteln [brandish]; und der Blick [look], der ihnen folgen [follow] will, verwirrt sich [becomes muddled].

5. Even in those days, India’s gates were out of reach, but their direction was indicated by the king’s sword. Today the gates are utterly elsewhere, carried off further and higher; no one shows the way; many hold swords, but only to brandish them about; and the gaze that would follow them gets muddled.
5. Schon damals waren Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.

6. Vielleicht [maybe] ist es deshalb [therefore] wirklich [really] das Beste [the best], sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher [law-books] zu versenken [sich~: immerse oneself into Or get absorbed by]. Frei [free], unbedrückt [bedrueckt: oppressed] die Seiten [sides] von den Lenden [loins] des Reiters [(of the) rider], bei stiller [quiet, still] Lampe [light], fern [far] dem Getöse [din] der Alexanderschlacht [Alexander-battle], liest [reads] und wendet [turn] er die Blätter [pages] unserer alten Bücher.

6. Maybe it is therefore really best to, like Bucephalus, lose oneself in old law books. Free, sides not pressed by a rider’s loins, by still and quiet lamp, far from the din of the Alexander battle, he reads and turns the pages of our old books.

6. Vielleicht ist es deshalb wirklich das Beste, sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei, unbedrückt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Getöse der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Blätter unserer alten Bücher.

Author: Franz Kafka
Translation Team: AMW & BW Translation Services, Ink(well)

English Translation

Der neue Advocat./The new Lawyer.

We have a new lawyer, Dr. Bucephalus. Little in his appearance reminds one of the time he was yet the war horse of Alexander from Macedonia {Alexander the Great}. However, one who is familiar with the circumstances notices a few things. Why, just recently I witnessed a simpleton court usher marvel with the expert eye of a small-time race aficionado as the new lawyer, thighs lifting high, shoes ringing the marble, climbed from step to step.

In general the bar approves Bucephalus’s membership. With astonishing understanding, one says to oneself that Buchephalus is, given today’s social order, in a difficult situation, and that because of that, as well as his world-historical import, he deserves at the least our courtesy. Today–no one can deny it–there is no great Alexander. To be sure, some understand how to murder; and the skill to spear one’s friend over a banquet table is likewise not lacking, and for many Macedonia is too cramped, so that they curse Philip, their father,–but no one, no one, can lead into India. Even in those days, India’s gates were out of reach, but their direction was indicated by the king’s sword. Today the gates are utterly elsewhere, carried off further and higher; no one shows the way; many hold swords, but only to brandish them about; and the gaze that would follow them gets muddled.

Maybe it is therefore really best to, like Bucephalus, lose oneself in old law books. Free, sides not pressed by a rider’s loins, by still and quiet lamp, far from the din of the Alexander battle, he reads and turns the pages of our old books.

Original:

Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus. In seinem Äußern erinnert wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von Macedonien war. Wer allerdings mit den Umständen vertraut ist, bemerkt einiges. Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen den Advokaten bestaunen, als dieser, hoch die Schenkel hebend, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg.

Im allgemeinen billigt das Barreau die Aufnahme des Bucephalus. Mit erstaunlicher Einsicht sagt man sich, daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschaftsordnung in einer schwierigen Lage ist und daß er deshalb, sowie auch wegen seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, jedenfalls Entgegenkommen verdient. Heute – das kann niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche; auch an der Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen, fehlt es nicht; und vielen ist Macedonien zu eng, so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen – aber niemand, niemand kann nach Indien führen. Schon damals waren Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.

Vielleicht ist es deshalb wirklich das Beste, sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei, unbedrückt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Getöse der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Blätter unserer alten Bücher.

Die Sorge des Hausvaters – Analysis

Die Sorge des Hausvaters – Analysis

Man muss die Sache Ernst nehmen: Sprachforscher haben den Name “Odradek” geforscht.

Man muss das Geheimnis bekennen: Sprachforschen können den Ursprung des Namens “Odradek” nicht entschlüsseln.

Man muss bestaunen: Ein kleiner zwirnbedeckte Stern, der wie auf zwei Beinen aufrecht stehen kann.
Man muss bemitleiden: Er ist eine chaotische Mischung aus abgerissenen, alten, aneinander geknoteten, aber auch ineinander verfilzten Zwirnstücken von verschiedenster Art und Farbe.

Man muss aber auch respektieren: Auch wenn am ersten Blick man versucht wäre, Odradek als gebrochen zu verstehen, sieht man dass er doch abgeschlossen ist–dass er eigentlich ein Etwas das man nicht imstande zu verstehen ist, und dass man weder fangen noch überleben noch immer zum Sprechen bringen kann.
Man muss schmelzen: Er ist so winzig und unbefangen einfach, dass man ihn als Kind zu behandeln versucht ist.

Man muss schon wieder staunen: Warum soll ein Odradek unsterblich uns Menschen kichernd beobachten?
Und wie wirkt das Ganze? Surreal. Einsam. Unglaublich. Verwirrend. Odradek existiert zwar nicht, aber das Leben liegt uns doch nahe, ungreifbar, und überlegen–wie Odradek.

BW/AMW

Kafka Translations 1: Die Sorge des Hausvaters / The Worries of a Family Man

Kafka Translations 1: Die Sorge des Hausvaters / The Worries of a Family Man

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Note on this translation project:

The idea is to aid with German comprehension: First you read the German with the hard words explained; then you read an English translation; and finally you read the original German with perfect comprehension, as if you were Franz Kafka himself!

These short short stories were all part of the story collection “Ein Landartz” (“A Country Doctor”), published in 1919 (Franz Kafka, author; Kurt Wolff, publisher).

German original available (kostenlos, natuerlich) at Project Gutenberg (or at the very bottom of this page). If, deutschlos, you just want to read my English translation, skip to English Translation

I’ve also written an Analysis and Response Story

Die Sorge des Hausvater’s / The Worries of a Family Man
Hausvater: Master of the house, or warden–like at a boarding school.
Or: paterfamilias, the male head of a household

1. Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus [stammen (aus): come (from)] dem Slawischen und sie suchen [search] auf Grund [auf Grund von: on the strength of] dessen die Bildung [formation] des Wortes nachzuweisen [nachweisen: prove]. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt [influenced]. Die Unsicherheit [Sicherheit: certainty] beider Deutungen [interpretations] aber läßt wohl [probably, arguably] mit Recht darauf schließen, daß keine zutrifft [zutreffen: be applicable / correct], zumal [particularly as] man auch mit keiner von ihnen einen Sinn [sense, meaning] des Wortes finden kann.

1. Some say that the word Odradek comes from the slavic and on that basis they try to prove the {etymological} formation of the word. Others opine it comes from the German, is only influenced by the Slavic. But the uncertainty of both interpretations arguably justifies concluding that neither is correct, especially as one can’t find a meaning of the word with either one of the supposed explanations}.

1. Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen und sie suchen auf Grund dessen die Bildung des Wortes nachzuweisen. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt. Die Unsicherheit beider Deutungen aber läßt wohl mit Recht darauf schließen, daß keine zutrifft, zumal man auch mit keiner von ihnen einen Sinn des Wortes finden kann.

2. Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien [studies] beschäftigen [occupy], wenn es nicht wirklich ein Wesen [being] gäbe, das Odradek heißt. Es [neuter from of “it”] sieht zunächst [initially / at first] aus wie eine flache sternartige Zwirnspule [r Zwirn: twine, twist; e Spule: spool], und tatsächlich [actually] scheint [appears] es auch mit Zwirn bezogen [beziehen: to cover]; allerdings [however] dürften [konjunktiv II (subjunctive mood) of dürfen (“may” or “can”)] es nur abgerissene [ragged] , alte, aneinander geknotete [knoten: knot], aber auch ineinander verfitzte [verfitzt: tangled up] Zwirnstücke [pieces of twine] von verschiedenster [verschieden: different] Art [type] und Farbe sein.

2. Naturally no one would occupy themselves with such studies if there wasn’t really a being called Odradek. At first glance it looks like a flat, star-shaped spool of twine. And it actually appears to be covered with twine–although they must be only ragged old twine-scraps of the most different types and colors all knotted up and tangled into each other.

2. Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien beschäftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gäbe, das Odradek heißt. Es sieht zunächst aus wie eine flache sternartige Zwirnspule, und tatsächlich scheint es auch mit Zwirn bezogen; allerdings dürften es nur abgerissene, alte, aneinander geknotete, aber auch ineinander verfitzte Zwirnstücke von verschiedenster Art und Farbe sein.

3. Es ist aber nicht nur eine Spule [spool], sondern [but (in the contrasting sense of “rather”)] aus der Mitte des Sternes [star] kommt ein kleines Querstäbchen [quer: diagonally; r Stab: rod; chen: diminutive] hervor [out of] und an dieses Stäbchen fügt [joins] sich dann im rechten Winkel [rechter Winkel: right angle] noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren [latter] Stäbchens auf der einen Seite [side], und einer der Ausstrahlungen [radiance / radiation / emanation] des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen [legs] aufrecht [upright] stehen [stand].

3. But it isn’t just a spool, for a tiny little diagonal rod comes out from the middle of the star, and then, joined at a right angle to this first tiny rod, there is yet another. With the help of this latter rod on the one side and one of the star’s points on the other side, the whole thing can stand upright as if on two legs.

3. Es ist aber nicht nur eine Spule, sondern aus der Mitte des Sternes kommt ein kleines Querstäbchen hervor und an dieses Stäbchen fügt sich dann im rechten Winkel noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren Stäbchens auf der einen Seite, und einer der Ausstrahlungen des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen aufrecht stehen.

4. Man wäre versucht [tempted] zu glauben [believe], dieses Gebilde [structure] hätte früher irgendeine [some, any] zweckmäßige [functionable] Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen [zerbrechen: break]. Dies scheint [seems] aber nicht der Fall [case] zu sein; wenigstens [at least] findet sich kein Anzeichen [sign] dafür; nirgends sind Ansätze [approaches; less common: edges] oder Bruchstellen [Bruch: break; Stellen: places, areas] zu sehen, die auf etwas Derartiges [of the kind] hinweisen [point to] würden; das Ganze erscheint [appear] zwar sinnlos [senseless], aber in seiner Art [way] abgeschlossen [completed, self-contained]. Näheres läßt sich übrigens [incidentally] nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich [movable] und nicht zu fangen [catch] ist.

4. One would be tempted to believe that this structure once had some practical form and now it’s just broken. However, this seems not the case, at least there’s not sign of it, nowhere are there any visible edges or fractures, which would confirm such an explanation; it’s true that the whole thing appears to be senseless but it is in its own way a whole. To say more is, as it happens, not possible, for Odradek is extraordinarily agile and not to be caught.

4. Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens findet sich kein Anzeichen dafür; nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen, die auf etwas Derartiges hinweisen würden; das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Näheres läßt sich übrigens nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen ist.

5. Er hält sich [sich aufhalten: stay] abwechselnd [in alternation] auf dem Dachboden [attic], im Treppenhaus [staircase], auf den Gängen [corridors], im Flur [“hall” or “vestibule”] auf. Manchmal [sometimes] ist er monatelang [months-long] nicht zu sehen; da ist er wohl [probably] in andere Häuser übersiedelt [moved, relocated]; doch kehrt [zurueckkehren: return] er dann unweigerlich [unavoidably] wieder [again] in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus der Tür tritt [steps] und er lehnt [sich lehnen : lean] gerade unten am Treppengeländer [das Geländer: railing], hat man Lust, ihn anzusprechen [speak to]. Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen [difficult] Fragen [questions], sondern behandelt [handle] ihn—schon seine Winzigkeit [winzig: tiny] verführt [seduce] dazu—wie ein Kind.

5. He resides alternately in the attic, on the staircase, in the hallways or the vestibule. Sometimes he’s not seen for months; then he’s most likely relocated to other houses; but he inevitably returns to our house. Sometimes, when one steps out the door and he’s leaning on the railing directly underneath, one would like to address him. Naturally one doesn’t ask him any difficult questions, rather treats him—his tininess alone elicits this response—like a child.

5. Er hält sich abwechselnd auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur auf. Manchmal ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere Häuser übersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich wieder in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus der Tür tritt und er lehnt gerade unten am Treppengeländer, hat man Lust, ihn anzusprechen. Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn—schon seine Winzigkeit verführt dazu—wie ein Kind.

6. „Wie heißt du denn?« fragt man ihn. »Odradek,« sagt er. »Und wo wohnst du?« »Unbestimmter [unbestimmt: indefinite] Wohnsitz [(place of) residence],« sagt er und lacht [laughs]; es ist aber nur ein Lachen [laughter], wie man es ohne Lungen [lungs] hervorbringen [produce] kann. Es klingt [sounds] etwa [approximately] so, wie das Rascheln [rascheln: to rustle] in gefallenen Blättern [leaves]. Damit ist die Unterhaltung [conversation] meist zu Ende. Übrigens [incidentally] sind selbst diese Antworten [answers] nicht immer zu erhalten [obtain]; oft ist er lange stumm [silent], wie das Holz [wood], das er zu sein scheint.

6. „So, what’s your name?“ one asks him. “Odradek,” he says. “And where do you live?” “Indefinite residence,” he says and laughs; it is however a laugh like one can only produce without lungs. It sounds a little like the rustling of fallen leaves. With that the conversation is usually at an end. By the way, these answers are not always to be had; often he’s long silent like the wood he appears to be.

6. „Wie heißt du denn?« fragt man ihn. »Odradek,« sagt er. »Und wo wohnst du?« »Unbestimmter Wohnsitz,« sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern. Damit ist die Unterhaltung meist zu Ende. Übrigens sind selbst diese Antworten nicht immer zu erhalten; oft ist er lange stumm, wie das Holz, das er zu sein scheint.

7. Vergeblich [in vain] frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben [die]? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art [type] Ziel [goal], eine Art Tätigkeit [activity, occupation] gehabt und daran hat es sich zerrieben [zerreiben: grind, crush]; das trifft bei Odradek nicht zu [zutreffen: to be applicable]. Sollte er also einstmals [once, formerly] etwa noch vor den Füßen meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem [trailing] Zwirnsfaden [Zwirn: twine; r Faden: thread] die Treppe hinunterkollern [hinunter: down; kollern: roll]? Er schadet [harms] ja offenbar [evidently] niemandem; aber die Vorstellung [notion], daß er mich auch noch [auch noch: (in this instance) as yet (I think)] überleben [outlive] sollte, ist mir eine fast [almost] schmerzliche [painful].

7. In vain I ask myself what will happen to him. Can he die? Everything that dies had previously some kind of goal, some activity upon which it ground itself out; that doesn’t apply to Odradek. Will he then one day, twines trailing, roll down the steps at the feet of my children and my children’s children? He clearly harms no one; but the idea that he might outlive me is almost painful.

7. Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben; das trifft bei Odradek nicht zu. Sollte er also einstmals etwa noch vor den Füßen meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die Treppe hinunterkollern? Er schadet ja offenbar niemandem; aber die Vorstellung, daß er mich auch noch überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.

English Translation

Die Sorge des Hausvater’s / Concerns of a Family Man
Hausvater: Master of the house, or warden–like at a boarding school.
Or: Paterfamilias the male head of a household

Some say that the word Odradek comes from the Slavic and on that basis they try to prove the etymological formation of the word. Others opine it comes from the German and is only influenced by the Slavic. But the uncertainty of both interpretations arguably justifies concluding that neither is correct, especially as neither of the supposed explanations yields a meaning.

Naturally, no one would occupy themselves with such studies if there wasn’t really a being called Odradek. At first glance it looks like a flat, star-shaped spool of twine. And it actually appears to be covered with twine–although they must be only ragged old twine-scraps of the various types and colors all knotted up and tangled into each other. But it isn’t just a spool, for a tiny little crossbar sticks out from the middle of the star, and then, joined at a right angle to this first tiny rod, there is yet another. With the help of this latter rod on the one side and one of the star’s points on the other side, the whole thing can stand upright as if on two legs.

One would be tempted to believe that this structure once had some practical form and now it’s just broken. However, this seems not the case, at least there’s not sign of it–nowhere are there any visible edges or fractures, which would confirm such an explanation; it’s true that the whole thing appears to be senseless, but it is in its own way a whole. To say more is, as it happens, not possible, for Odradek is extraordinarily agile and not to be caught.
He whiles alternately in the attic, on the staircase, in the hallways or the vestibule. Sometimes he’s not seen for months; then he’s most likely relocated to other houses; but he invariably returns to our house. Sometimes, when one steps out the door and he’s leaning on the banister directly underneath, one would like to address him. Naturally, one doesn’t ask him any difficult questions, rather treats him—his tininess alone elicits this response—like a child.

“So, what’s your name?” one asks him. “Odradek,” he says. “And where do you live?” “Indeterminate residence,” he says and laughs; it is however a laugh like one can only produce without lungs. It sounds a little like the rustling of fallen leaves. With that the conversation is usually at an end. By the way, these answers are not always to be had; often he’s long silent like the wood he appears to be.

In vain I ask myself what will happen to him. Can he die? Everything that dies had previously some kind of goal, some activity upon which it ground itself out; that doesn’t apply to Odradek. Will he then one day, twines trailing, roll down the steps at the feet of my children and my children’s children? He clearly harms no one; but the idea that he might outlive me almost pains me.

Story: Franz Kafka
Translation: AMW

Original:

Die Sorge des Hausvaters.

Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen und sie suchen auf Grund dessen die Bildung des Wortes nachzuweisen. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt. Die Unsicherheit beider Deutungen aber läßt wohl mit Recht darauf schließen, daß keine zutrifft, zumal man auch mit keiner von ihnen einen Sinn des Wortes finden kann.

Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien beschäftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gäbe, das Odradek heißt. Es sieht zunächst aus wie eine flache sternartige Zwirnspule, und tatsächlich scheint es auch mit Zwirn bezogen; allerdings dürften es nur[97] abgerissene, alte, aneinander geknotete, aber auch ineinander verfitzte Zwirnstücke von verschiedenster Art und Farbe sein. Es ist aber nicht nur eine Spule, sondern aus der Mitte des Sternes kommt ein kleines Querstäbchen hervor und an dieses Stäbchen fügt sich dann im rechten Winkel noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren Stäbchens auf der einen Seite, und einer der Ausstrahlungen des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen aufrecht stehen.

Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens findet sich kein Anzeichen dafür; nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen, die auf etwas Derartiges hinweisen würden; das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Näheres läßt sich übrigens nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen ist.

Er hält sich abwechselnd auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur auf. Manchmal ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere Häuser übersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich wieder in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus der Tür tritt und er lehnt gerade unten am Treppengeländer, hat man Lust, ihn anzusprechen. Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn – schon seine Winzigkeit verführt[100] dazu – wie ein Kind. »Wie heißt du denn?« fragt man ihn. »Odradek,« sagt er. »Und wo wohnst du?« »Unbestimmter Wohnsitz,« sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern. Damit ist die Unterhaltung meist zu Ende. Übrigens sind selbst diese Antworten nicht immer zu erhalten; oft ist er lange stumm, wie das Holz, das er zu sein scheint.

Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben; das trifft bei Odradek nicht zu. Sollte er also einstmals etwa noch vor den Füßen meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die Treppe hinunterkollern? Er schadet ja offenbar niemandem; aber die Vorstellung, daß er mich auch noch überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.